19. März 2024

Die unbeachtete Volkskrankheit

Chefärztin Prof. Dr. med. Svetlana Tchaikovski über neue Ansätze zur Behandlung von Endometriose

Die ersten Beschwerden melden sich oft schon bei Frauen in jungen Jahren: starke Schmerzen im Unterleib während der Regelblutung. So manche Frau glaubt, das muss vielleicht so sein, und versucht, mit diesen Beschwerden irgendwie klarzukommen. Die Schmerzen können aber auch beim Wasserlassen auftreten oder beim Geschlechtsverkehr. Ohne dass es dafür einen offensichtlichen Grund gibt. Mögliche Ursache: eine Endometriose. Wegen der vielfältigen Symptome und auch der Leidensfähigkeit vieler Frauen dauert es mitunter Jahre, bis die Betroffenen wissen, was ihnen da zu schaffen macht. In einer Analyse des Robert Koch-Instituts ist sogar die Rede von acht Jahren, die im Durchschnitt von den ersten Symptomen bis zur gesicherten Diagnose vergehen.

Endometriose bedeutet, dass Zellen der Gebärmutterschleimhaut an Stellen im Körper auftauchen, an denen sie eigentlich nichts zu suchen haben. Sie siedeln sich zum Beispiel an den Eierstöcken an. Oder im Eileiter. Im Darm. Oder auch in der Blase. Das Gute ist: Diese Zellwucherungen sind kein Krebs. Und sie sind auch nicht die Vorstufe einer Krebserkrankung. Sie können aber durch Entzündungsreaktionen tatsächlich eine Eierstockkrebserkrankung begünstigen. „Endometriose ist eine ernst zu nehmende Erkrankung", betont Prof. Dr. med. Svetlana Tchaikovski, Direktorin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel. Man stelle sich nur mal vor: Jeden Monat immer wieder heftige Beschwerden. Wenn es ganz schlimm ist, dann ist sogar eine Krankschreibung nötig. „Bei dieser Häufigkeit können die Frauen ihren Job verlieren“, erklärt die Chefärztin. Tauchen die Wucherungen an den Eierstöcken oder Eileitern auf, besteht sogar die Gefahr, dass die betroffenen Frauen keine Kinder bekommen können. Und das kann natürlich auch zu Problemen in der Partnerschaft führen.

Prof. Dr. Svetlana Tchaikovski möchte in Brandenburg an der Havel ein Endometriose-Zentrum aufbauen – ein Netzwerk zur schnelleren Diagnose, zur kompetenten Therapie und Nachsorge von Patientinnen. Die Endometriose-Vereinigung Deutschland geht davon aus, dass eine von zehn Frauen im gebärfähigen Alter an Endometriose erkrankt. In Deutschland gebe es rund zwei Millionen Betroffene.



In den sogenannten Endometriose-Herden sammeln sich Schleimhaut und Blut. Den Takt gibt die Menstruation vor. Nur dass bei den Herden der Abfluss fehlt. Blut und Schleimhaut stauen sich und rufen Entzündungen hervor. Das ist das Schmerzhafte. Um einen Verdacht auf Endometriose abzuklären, ist zunächst einmal eine gynäkologische Untersuchung nötig. Weitere Hinweise geben Ultraschall-Untersuchungen. Erhärten diese Checks den Verdacht, ist möglicherweise eine Bauchspiegelung – eine Laparoskopie – erforderlich. Dabei entnimmt der Arzt Gewebeproben der verdächtigen Zellwucherungen zur Überprüfung. Und meist werden bei diesem minimalinvasiven Eingriff nach Möglichkeit auch schon Endometriose-Herde entfernt, um bei der Patientin für Linderung zu sorgen.

Früher war die Standardtherapie für eine Endometriose lediglich eine Operation, bei der die Wucherungen entfernt werden“, sagt Prof. Dr. Svetlana Tchaikovski. Allerdings seien in vielen Fällen die Wucherungen wieder neu gewachsen, was weitere Eingriffe zur Folge hatte. „Das kann nicht die Lösung sein“, so die Chefärztin. Sie setzt auf den modernen Ansatz einer multimodalen Therapie. Dazu gehört zunächst eine Hormontherapie. Denn die Hormone sind es ja, die den Monatszyklus und damit auch die Zellwucherungen der Gebärmutterschleimhaut steuern. Erst dann folgt der operative Eingriff. An dritter Stelle, aber extrem wichtig, ist für Prof. Dr. Svetlana Tchaikovski die Nachsorge der Patientinnen. Dazu gehören unter anderem Physiotherapie, Ernährungsberatung, Sport, aber auch Akupunktur und psychologische Betreuung. Denn einige Frauen würden trotz erfolgreicher Operation immer noch unter Schmerzen leiden. Das könne damit zusammenhängen, so die Klinikdirektorin, dass der Körper in der langen Leidenszeit ein Schmerzgedächtnis entwickelt hat. Das müsse mit einfühlsamer Behandlung wieder „gelöscht“ werden. Eine enge Zusammenarbeit soll es auch mit Reproduktionsmedizinern geben. So könne für betroffene Frauen alles nur Mögliche unternommen werden, um den bisher unerfüllten Kinderwunsch doch noch wahr werden zu lassen. All diese Bereiche sollen zum geplanten Endometriose-Netzwerk gehören. Nicht zu vergessen die niedergelassenen gynäkologischen Fachärzte, zu denen die Frauen mit ihren Beschwerden als Erstes kommen.

Prof. Dr. Svetlana Tchaikovski weist darauf hin, dass es in Staaten wie Australien und Frankreich bereits nationale Strategien für den Umgang mit Endometriose gebe. Deutschland hinke da noch hinterher. Außerdem sei es hier schwer, Forschungsgeld für diesen Bereich zu bekommen. Endometriose ist eine Volkskrankheit, der viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die Chefärztin der Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Uniklinikum möchte genau das ändern.

Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Chefärztin: Prof. Dr. med. Svetlana Tchaikovski
Sekretariat: (03381) 411400
frauenklinik@uk-brandenburg.de

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