20. März 2024

Kann falsche Atmung schädlich sein?

Was ich mich bisher nicht zu fragen traute, aber schon immer wissen wollte …

Beim Spazierengehen im Park haben mein Junior und ich ein Gespräch aufgeschnappt. „Du atmest falsch“, sagte eine entgegenkommende Frau zu ihrem Begleiter. Der brummte nur unverständlich. „Doch, wirklich, du atmest paradox. Davon kann man krank werden“, setzte sie fort. Den Rest des Gesprächs konnten wir nicht weiterverfolgen. „Gibt es das, eine paradoxe Atmung?“, wollte mein Sohn wissen. „Und kann man davon wirklich krank werden?“ Und weil er mich kannte, hat er gleich hinzugefügt: „Aber eine kurze Antwort bitte!

Ein wenig ausholen musste ich trotzdem, denn die Welt der Atmung ist faszinierend. Zwölf bis 15 Atemzüge pro Minute macht ein Erwachsener im Ruhezustand und nimmt pro Atemzug etwa einen halben Liter Luft auf. Die Lungenbläschen übernehmen den Gasaustausch mit dem Blut: Sauerstoff hinein, Kohlendioxid heraus. Das läuft unwillkürlich ab, gesteuert vom Atemzentrum im Hirnstamm, als sogenannte autonome Grundfunktion, ähnlich wie Herzschlag oder Verdauung. Dazu melden Rezeptoren die Konzentration der Gase im Blut, die Atemfrequenz wird entsprechend geregelt. Das Besondere an der Atmung ist aber, dass sie auch willentlich beeinflusst werden kann. Wir können schneller, tiefer, flacher atmen oder den Atem anhalten – etwa unter Wasser. Erst wenn der Sauerstoffgehalt im Blut allzu stark absinkt, erzwingt der Hirnstamm auch gegen die Großhirnrinde das Luftholen.

Die bewusste Steuerung hat einen Haken: Menschen können sich angewöhnen, falsch zu atmen. Wer körperlich wenig gefordert, aber durch Büroarbeit gestresst ist, atmet oft zu kurz und zu flach, hebt und senkt dabei nur den Brustkorb. So kommt wenig Luft in die Lunge und die Organe werden schlecht mit Sauerstoff versorgt. Die Folgen sind Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Kopfschmerzen. Zum Vergleich: Bei tiefer Atmung wird der Brustkorb nicht bloß angehoben, sondern weit gedehnt. Dann schiebt sich das Zwerchfell in den Bauchraum, der Bauch wölbt sich nach außen, und die Lunge kann sich komplett füllen. Paradoxe Atmung ist ein Spezialfall der falschen Atmung. Dabei wird der Brustkorb beim Einatmen eingezogen und beim Ausatmen angehoben. Dann ist der Atem sehr flach, nur wenig Sauerstoff kommt an. Im Hintergrund können Erkrankungen oder Verletzungen stehen. Atmet der Mann aus dem Park tatsächlich paradox, sollte er auf jeden Fall zum Arzt gehen.

Im Anschluss wollte ich mit dem Junior eigentlich noch ein paar Atemübungen machen. Aber der hat nur abgewunken und „Passt schon“ gesagt. Vielleicht hätte ich die Theorie doch nicht so ausdehnen sollen.

Ihr Dr. Nikki Ulm

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